Wie entsteht Gemeinschaft?

von Barbara Stützel

Alles und alle schwingen miteinander – ein Gefühl von „Wir“ und „Miteinander“ entsteht. Doch es braucht ein paar Zutaten und ein Rezept, was bewusst erlernt werden muss…

Jeder Mensch ist ein Universum. Und in einer Gruppe kommen viele Universen zusammen – unterschiedliche Erfahrungen, Gefühle, Gedanken, Werte, Bedürfnisse. Je nach Stressniveau und Laune variieren diese auch noch ständig. Aus diesem vielfältigen Konglomerat ein „miteinander Schwingendes“ zu kreieren, in der die Energien sich gegenseitig befruchten und fließen, ist eine Kunst.

Am ehesten kennen wir das Gefühl von Miteinander, wenn wir etwas gemeinsam erleben – miteinander tanzen, singen, ein gutes Konzert hören. Auch kennt jede*r, wie befriedigend es ist, etwas gemeinsam zu tun. Das kann eine Kartoffelernte sein, eine Wanderung, ein Hausbau oder ein sonstiges Projekt. Wenn wir jedoch von der äußeren Ebene des Verhaltens zu inneren Ebenen kommen, wird es schon komplexer. Gute Gespräche führen ist inspirierend, wenn wir mit Menschen sprechen, die uns ähnlich sind. Aber es wird schon schwierig, wenn die Meinung des anderen von der eigenen abweicht. Vollends kompliziert wird es dann, wenn Gefühle im Raum sind. Gefühle werden schnell geteilt, denn unsere Spiegelneuronen befähigen uns zum Mitfühlen mit der anderen Person. Aber da wir Gefühle außer Freude meist nicht fühlen wollen, unterdrücken wir sie – für uns und die anderen. Sie zeigen sich dennoch in unserem Ausdruck und so ergeben sich Doppelbotschaften und Spannungen. Oft fühlen wir uns von diesen überfordert und dann brauchen plötzlich alle Rückzug und Stille, um sich selbst wieder zu spüren. Kein Wunder, dass eine der häufigsten Fragen an uns Menschen in Gemeinschaft ist: „Habt ihr denn genug Rückzugsraum? Also, das könnte ich mir ja nicht vorstellen, mit so vielen Menschen.“

Und doch gibt es sie, diese Sternmomente in einer Gruppe – wo es sich anfühlt, als würden alle miteinander schwingen. Wo alles, was da ist, geäußert und wahrgenommen werden kann, wo Gefühle zu Verbindung führen, Gedanken frei flottieren, sich verändern und plötzlich etwas Neues entsteht, neue Impulse und Gedanken.

Was passiert hier? Worte wie Vertrauen, Miteinander, Wir-Feld versuchen es zu beschreiben.

Eine Grundlage ist Entspannung. Wenn wir uns sicher fühlen, unsere Nervensysteme entspannt sind, entfällt die Notwendigkeit, uns zu vergleichen und unseren Platz zu behaupten. Wenn wir entspannt sind, sind wir flexibler und bleiben nicht an unseren bekannten Verhaltensmustern hängen. Wir können uns von unseren Gefühlen und Gedanken distanzieren, sind nicht identifiziert mit ihnen. Dann können wir sie bewusst wahrnehmen und in ein Gespräch mit einbringen, ohne darauf zu beharren, Recht zu haben. Offenheit für anderes ist eine weitere Zutat zu einem kohärenten Wir- Feld. Nur wenn ich bei allem, was ich weiß und denke, eine Möglichkeit lasse, dass mein Wissen falsch sein kann und der andere etwas beitragen kann, was mich erweitert, bin ich offen, wirklich zuzuhören. Präsenz, Nichtwissen und Stille schaffen einen Raum von Wahrnehmung. Zum Zuhören kommen dann weitere Ebenen: Ich nehme den anderen ganzheitlich wahr, gleichzeitig aber auch meine eigenen Reaktionen und das, was im Zwischenraum zwischen uns geschieht. So kann ich gleichzeitig Impulse, Bilder oder Gedanken empfangen, die weniger aus Erfahrungen der Vergangenheit gespeist werden, sondern die wirklich in Kontakt sind mit allen Ebenen der jetzigen Situation. So emergiert aus einem Moment das, was am stimmigsten als nächstes entstehen möchte. Ohne dass eine oder einer es lenken muss.

Wenn viele Menschen in einer Gruppe mit solchen Mechanismen vertraut sind und in sich die Qualitäten wie Entspannung, Präsenz, Nichtwissen, Offenheit und Wahrnehmung praktizieren, entsteht Gemeinschaft – als lebendiger Organismus, der sich selbst reguliert und immer wieder verändert.

Forum ist einer der Gemeinschaftsbildungsprozesse, die mit diesem Feld arbeiten. Indem wir uns beispielhaft und bewusst für die Bewegung des Lebendigen im Einzelnen Raum und Zeit nehmen, verändert sich das Gruppenfeld. Vertrauen und Gemeinschaft entstehen. Wer lernen möchte, wie diese Räume erschaffen werden können: Es gibt im ZEGG eine neue Ausbildung zu Gemeinschaftsbildung und Forumsleitung – Transfor(u)m.

Und dann heißt in bewussteren Gemeinschaften die Antwort auf die Frage nach Rückzugsräumen vielleicht: „Ja klar kann jede Person sich immer zurückziehen, wenn sie es braucht. Aber eigentlich sind wir lieber zusammen. Das nährt uns mehr.“

Barbara Stützel, Dipl. Psychologin und Forumsausbilderin, lebt, liebt und forscht seit 20 Jahren in der ZEGG Gemeinschaft und gibt ihr Wissen in Seminaren und durch Gemeinschaftsbegleitung weiter. Sie ist zusammen mit Dolores Richter, Sucha Wolters, Achim Ecker und Ina Meyer-Stoll Begründerin der Ausbildung Transfor(u)m.

(Infos unter www.zegg-forum.org oder bei Barbara Stützel )